Die Norfer Sappeure
Beiträge zur Geschichte des Sommerbrauchtums
im Kreis Neuss

Eine Turmbesteigung im Jahre 1974


 

Die schiefergedeckte Haube mit dem krönenden Laternentürmchen signalisiert seit Jahrhunderten Norfer Geschichte. Obwohl sein mächtiger, fünfgeschossiger Quadratsockel deftige Vertikalnarben aufweist, kann er unbesorgt seinen bisher mehr als 700 Lebensjahren ohne Statikkümmernisse noch etliches an Zeit hinzufügen.

Rot-weiß gestrichene Fensterfüllungen, Schießscharten und meterdicke Mauern bringen das durchs füllige Blättergrün hervorlugende Turmmassiv ins Blickfeld:

Vellbrüggen, wehrhafter, einstmals wassergrabengeschützter Stammsitz derer von Velbrück, setzt mit seinem wuchtigen Backsteinturm auch heute noch den Norfer Bauakzent schlechthin. Trotz Hochbebauung und Terrassen-Wohn-Komfort im Norfer Süden, trotz kreuzgezierter Kirchturmspitze im alten Zentrum. Die Besitzer und Bewohner von Vellbrüggen haben Geschichte gemacht und machen sie noch immer. Ob als Neuritter bei Errichtung des Hubertusordens nach der Schlacht bei Linnich im Jahre 1444, als Vögte für das Hofgericht in Nievenheim oder mit Wilhelm Graf von Pfeil als Bürgermeister Anno 1974. Vellbrüggen ist aus dem Zeitenlauf der Norfer Geschichte einfach nicht wegzudenken.

Wappen derer von Vellbrügg Ein Wort zum Wappen, das die Ritter von Vellbrüggen einstmals an ihre Turnierfahnen heften durften. Arnold Robens (Der Ritterbürtige Landständische Adel des Großherzogthums Niederrhein, 1818) hat es in Zeichnung und Beschreibung der Nachwelt erhalten. Über einem blauen Querbalken in Gold prangt auf der Helmzier ein goldener Doggenkopf mit blauem Halsband. "Der Name beweist das Alter und den deutschen Ursprung", heißt es da. "Das einfache Wappen die beigewohnten Turniere." Ob ein Schlussstein an der Innenseite des Hoftorbogens mit diesem Wappen identisch ist, lässt sich nicht mehr beweisen. Regen und Wind haben den Stein völlig blank gewaschen.
Für Bürgermeister Graf von Pfeil und Gräfin Jutta, geborene von Waldthausen ist es nichts Ungewöhnliches, wenn heute (1974! Die Redaktion) plötzlich Schulkinder an der Eingangstür überm Treppenaufgang stehen und mit einem Gemisch aus Scheu und Mut bitten: "Können wir mal die Burg besichtigen?" Wer einmal durch den Turm die Höhe der oberen Plattform erreicht hat, ist mit Aufsatzstoff zum heimatlichen Geschichtsunterricht reich ausstaffiert. Knarrende Treppen, mächtiges Eichengebälk und noch dickere Mauern lassen auch der kindlichen Phantasie freien Lauf. Ritterromantik, Burgfräuleins und feines Windjammern begleiten die Gedanken auf dem Weg nach oben. Und die beiden Vierbeiner Spitz und Dackel in persona. Vorbei an einem uralten offenen Kamin geht der Aufstieg schließlich nur noch über Leiterstufen, vor denen selbst der Spitz kapitulieren muss.

Oben angekommen, machen die vom Fensterholz befreiten Maueröffnungen den Blick frei über Norf. Tief unten der Park mit seiner breit ausladenden Freitreppe. Weiter weg (und doch so nah) die Hochhäuser von Erfttal und Weckhoven. Diese Turmbesteigung gibt aber auch noch andere interessante Hinweise auf die Vergangenheit von Rittergut Vellbrüggen. Auf jeder Turmetage nämlich zeigen sich in der Nordostecke zugemauerte, steingefasste Türöffnungen. So, wie sie jetzt angeordnet sind, müsste man schon Gleitflügel tragen, wollte man den vermeintlichen Raum dahinter betreten. Ein Zeichen dafür, daß früher an dieser Stelle zweifelsohne ein Anbau gewesen ist. Vermutlich der ursprüngliche Bauzustand von Vellbrüggen, in dem der mächtige Turm nach Innenhof und Straßenfront hin wehrhafter Eckpfeiler gewesen ist.

Seit 1964 übrigens repräsentiert er als Vellbrüggener Wahrzeichen auch im Norfer Wappen Trutz und Schutz. Wieder ins Parterre zurückgekehrt, ein Blick in die langgestreckten, an die Schenkel des Turmes angefügten Wohngebäude. Der große Saal mit Kölner Decke, ein heimeliger Kamin, an dem der Fachmann als Umfassungsmauer römische Fußbodenziegel entdeckt. Und beim genauen Hinsehen weist der steingewordene Eindruck einer römischen Hundepfote zurück in jene Zeit Norfer Geschichte, als römische Legionäre Freizeitmußestunden in den legionseigenen Ziegelbäckereien zu absolvieren hatten.

Ein Blick noch über das weite Hofkarree, an dessen hausabgewandter Seite sich die Wirtschaftsgebäude hinziehen. Kein Tierlaut hinter den Türen. Denn auch auf Vellbrüggen hat man sich (wie auf vielen anderen großen Höfen) spezialisiert. Dafür im Schuppen moderne Ackergeräte und der zum Ernteeinsatz gerüstete Mähdrescher. Gleich hinterm Eingangsbogen noch einmal Geschichte. Ein Flurstein aus dem 18. Jahrhundert mit den Initialen "VH" (Vellbrügger Hof) schimmert matt unterm Gebüsch. Dann ist der Besucher wieder in der Welt der Düsenriesen und des Benzingeruchs, der uns " Straßenrittern" auf der L 380 kräftig um die Nase weht.

Aus: Nor apa Norpe Norf. Ein Dorf wächst in Jahrtausenden. Norf 1974.

 

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