Die Norfer Sappeure
Beiträge zur Geschichte des Sommerbrauchtums
im Kreis Neuss

Von Schützen, Fahnen und Majestäten

Kirmes im Dörp


 

Bevor die Norfer um die Jahrhundertwende darangehen, im großen rheinischen Spiel um Zepter, Krone und Würde von Schützenkönigen, Umzügen, Paraden und buntem Fahnenschmuck mitzumischen, hat die Andreas-Gemeinde zumindest zweimal Bekanntschaft gemacht mit Schützen. Anfang des 17. Jahrhunderts befiehlt der Amtmann in Hülchrath die dortigen Schützen, damals noch echte Bürgerwehr, in den Stüttgener Busch zwischen Norf und Nievenheim, um dem üblen Gesindel von Tagedieben und Mordgesellen das Handwerk zu legen. Wochenlang durchkämmen die Hülchrather das im 17. Jahrhundert noch fast 2000 Morgen große Waldgebiet, um den umliegenden Ortschaften wieder ruhige Nächte zu verschaffen.

Die zweite Schützen-Bekanntschaft macht Norf im Jahre 1823. Eine Begebenheit, die von alten Norfern heute noch augenzwinkernd und schmunzelnd aufgenommen und weitererzählt wird. Adolph Reuter, seines Zeichens Pastor in Norf, ist in diesem Jahr zu Gast in seiner Heimatstadt Neuss. Beim großen Defilee des Neusser Schützenzuges, das Reuter neben Beigeordnetem Josten vom Neusser Rathausfenster aus erlebt, entdecken beide die zum Teil schlechten Fahnen. Sie kommen überein, je eine neue Fahne zu stiften. Der Norfer Pastor gibt sein Geschenk an die Neusser Schützen als Auftrag an den Maler Joseph Willms, der zu diesem Zeitpunkt Zeichenlehrer am Collegium ist. Willms strengt sich an. Und als die Fahne bald darauf fertig ist, ziert die eine Seite der Neusser Patron Quirin, die andere aber der Norfer Pfarrpatron St. Andreas. Dazu sind die Konturen beider Kirchen aufgebracht.

Interessant für Norf wird die Angelegenheit aber, als die Neusser Schützengesellen am 18. Oktober 1823 mit der neuen Fahne in Norf erscheinen um sie durch den großzügigen Spender Pastor Reuter einsegnen zu lassen. Als die Neusser mit ihrer geweihten Fahne in der Quirinusstadt eintreffen, ist das Prunkstück nicht wiederzuerkennen. Das Tuch ist hin. Da gibt's kein Vertun. Über das Wie und Warum redet die Überlieferung mit gespaltener Zunge. Die eine Version: Willms hat die Fahnenbilder gummiert. Auf dem Heimweg zerfließen Andreas und Quirin im herunterströmenden Regen zu einer schmierigen Masse. Die zweite Version: Die Norfer sind ungehalten darüber, daß ihnen zur Neusser Fahnenweihe in der eigenen Pfarrkirche der Zutritt versperrt ist. Ergo: Als die Junggesellen mit ihrem "PastorReuter-Geschenk"' das Gotteshaus verlassen, gibt's im Nu eine wenig christliche, dafür aber zünftige Keilerei, in deren Verlauf das Neusser Emblem zu Bruch geht. Die Junggesellen aus der Quirinusstadt verlassen fluchtartig das "ungastliche Dorf,". Fazit der Geschichte: Maler Willms erklärt sich bereit, eine neue Fahne zu fertigen. Kostenlos, versteht sich. Der Norfer Pfarrpatron aber kommt nicht mehr zu Ehren. Das neue Tuch ist mit dem Bild der allerheiligsten Dreifaltigkeit geschmückt.

Als eigentlichen Vorläufer des Norfer Schützenfestes muss man jene Kirmessen sehen, die ab Mitte des 19. Jahrhunderts auch im Anzeigenteil des "Neusser Intelligenzblattes' angekündigt werden. Da heißt es zum Beispiel am 24. Oktober 1856: "Norfer Kirmes. Bei dieser Gelegenheit findet beim Unterzeichneten Sonntag den 26. Tanzmusik und Montag den 27. Ball statt, wozu höflichst einladet Heinrich Schieffer." Oder Joseph Komanns lässt  in die gleiche Ausgabe einrücken: "Sonntag den 26. und Montag den 27. Oktober Tanzmusik in meinem großen, schön dekorirten Zelte. Entree für Herren 5 Silbergroschen, Damen 2'/ 2 Silbergroschen, wofür bis 2 Uhr Nachts frei tanzen ist. Für gute Speisen und Getränke ist bestens gesorgt."" Und Mathias Wahl garantiert in seiner Kirmes-Anzeige für ein "schön decorirtes Zelte" sowie "ein tüchtig besetztes Orchester".

Was aber offensichtlich an Norfer Kirmesvergnügen noch fehlt, ist der in anderen Orten ringsum schon gepflegte Schützenzug mit König, Ordensketten und bunten Uniformen. Vor 1900 gibt es den Reiterverein, der für gesellige Veranstaltungen Sorge trägt. Pferde sind genug da. Und die Reiter gewinnen durch die Mitgliedschaft auch aus anderen Orten gewisse Bedeutung. Um die Jahrhundertwende (genau ist das nicht mehr auszumitteln) findet dann die Gründung des Scheibenschützenvereins statt. Die Fahne jedenfalls, die heute noch in der St.-Andreas-Bruderschaft vorhanden ist, trägt die Jahreszahl 1900. Gründer und "Männer der ersten Stunde,"' sind bei den Scheibenschützen Wilhelm Schiefer, Josef Derichs, Peter Clemens, Peter Strerath, Josef Werkes und viele andere. Jedes Jahr im September feiern die Norfer nun ihr Schützenfest. Anfangs mit prächtigen Bällen im kleinen Obergeschoß-Sälchen der Gaststätte Huthmacher an der Roseller Straße, später im neuerbauten Kaisersaal (Tonhalle). Während Wilhelm Schiefer dem Scheibenschützenverein jahrelang als Präsident vorsteht, eröffnet Josef Derichs den ab 1904 überlieferten Reigen der Norfer Schützenkönige. Nur erster Weltkrieg und Notzeiten können die Norfer davon abhalten, ihr Jahresfest zu feiern.

Im Jahre 1920 erlebt das Norfer Schützenwesen dann seine erste Renaissance. Der "Bürger-SchützenVerein" wird gegründet. Und wieder sind es die führenden Männer der ehemaligen Scheibenschützen, die nunmehr Jägerkorps und Grenadierkorps aus der Taufe heben. Beim Jägerkorps sind es Franz Krosch, Engelbert Konrads, Willi Rixen, Heinrich Steins und Jakob Schmalbuch, bei den Grenadieren unter anderen Josef Derichs, Heinrich Piel, Adam Reuter und Peter Clemens. Zum ersten Nachkriegs-Schützenfest steht auch das heimische Tambourkorps "Germania". Drei Jahre später folgen als Neugründung die Pioniere. Unter ihren Gründern des Jahres 1923 der spätere Ehrenoberst Alex Krieger. Edelknaben, Vorreiter und die Kapelle "Frohsinn" Norf bringen dem mehr und mehr aufstrebenden Bürger-Schützen-Verein weitere optische und musikalische Accessoires.

Bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges wird das Regiment von Peter Giesen, Alex Krieger und Adolf Schillings befehligt. Präsidenten sind Wilhelm Schiefer, Josef Derichs, Werner Brenner, Heinrich Schumacher (Uedesheimer Straße) und Peter Roderigo.

Die Kassengeschäfte des Vereins werden jahrelang von Bernhard Rond verwaltet. Norfer Schützenfestfreuden gibt's aber nicht nur am oben beschriebenen Septembertermin. Auch die einzelnen Korps halten im Jahreslauf ihre eigenen Feste. Die Jäger, deren 15 Gründungsstatuten noch im Jahre 1920 von Bürgermeister Wiedenbrüg genehmigt werden, feiern fortan am zweiten Sonntag im Juni ihr Jägerfest in der Tonhalle; die Grenadiere halten ihre Korpsveranstaltungen jedes Jahr im Januar bei Plum. Alle Aktivitäten in den Norfer Schützenreihen werden mit dem aufkommenden Naziregime und dem zweiten Weltkrieg lahmgelegt. Im Jahre 1938 kommt es zur ersten Machtprobe. Peter Clemens, seines Zeichens Grenadiermajor, muss eine deftige Verwarnung einstecken, als er trotz Parteiverbots die Schützen zum gemeinsamen Kirchgang führt. Letzter Schützenkönig vor dem zweiten Weltkrieg ist 1938 / 39 Hubert Esser. Dann nehmen die Kriegsereignisse den Norfer Schützen jede Lust zum ausgelassenen Fröhlichsein.

Nach dem Ende des zweiten Weltkrieges, die Norfer Soldaten kommen allmählich aus Gefangenschaft und Lager zurück, lebt mit dem Willen zum Neubeginn trotz chaotischer Zustände auch das Verlangen nach einem Jahresfest wieder auf. Bürgerschützenvereine allerdings sind bei den Alliierten Besatzungsmächten tabu. Doch bald schon findet sich ein Ausweg, als ein provisorischer Vorstand die Kirmesgesellschaft Norf aus der Taufe hebt. Und schon im Herbst 1946, nachdem die in der Tonhalle untergebrachten Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten neue Wohnungen bezogen haben, gibt sich die Feuerwehr unter Alois Hermkes, freundlich familiär auch "Hermkes Baas'''' geheißen, ans Werk. Und bald ist die ramponierte Tonhalle nicht wiederzuerkennen. Der Königsvogel jedoch kann nicht anvisiert werden. Gewehre und Luftbüchsen aller Art bleiben verboten. Aber die Norfer Kirmeswilligen zögerten nicht lange. Ein Hahn ist schnell besorgt. Und so wird der erste Schützenkönig nach dem Krieg durch "Hahneköppen," ermittelt. Ein Brauch, der sich bis heute noch in einigen Gemeinden des Kreises Grevenbroich erhalten hat. Sieger 1946 ist Heinrich Winkels.

Und so wird gefeiert: mit Selbstgebranntem, Hausgemachtem, dazu Kuchen, Torten und Weinen, die vermutlich heute kein deutsches Weinsiegel mehr zuerkannt bekämen. Doch was macht es. Die Mitglieder dieser provisorischen Kirmesgesellschaft schwingen ihre Spazierstöcke beim zaghaften Umzug. Gewehre als Dekoration bei den Grenadieren, selbst, wenn sie aus Holz sind, dürften nicht öffentlich auf den Straßen gezeigt werden. Die anderen zugelassenen Vereine springen in die Bresche. Der Turn- und Sportverein, der Männergesangverein Eintracht die Feuerwehr. Und so wird unter der Leitung von Josef Offer das erste Fest zu einem gelungenen. Jedem beteiligten Verein werden nach Abzug aller Unkosten noch 250 Reichsmark überwiesen. Der große "Rest"" muss der Katholischen Kirche, vertreten durch Pfarrer Löffelsend, überwiesen werden.

Mit Pfarrer Löffelsend gibt's dann auch im nächsten Jahr die ersten Differenzen zwischen den Norfern, die den alten Bürgerschützen-Verein wieder aufleben lassen wollen und denjenigen, die eine Schützenvereinigung nur nach den Zielsetzungen des Bundes der Historischen Deutschen Schützenbruderschaften (mit dem Pfarrer als Präses) gründen wollen. Das Königssilber, die Fahnen und Schärpen sind zu diesem Zeitpunkt schon im Besitz der Katholischen Kirchengemeinde. Nach scharfen Diskussionen auf einer Versammlung in der Gaststätte Palms stimmt die Mehrheit schließlich für die Gründung einer Bruderschaft, die dem heiligen Andreas geweiht werden soll. Unter großem Protest übergibt der langjährige Kassierer Bernhard Rond die Vereinsbücher an Pfarrer Löffelsend. Sie sind bis heute nicht wieder aufgetaucht.

Seit dieser historischen Zusammenkunft am 27. April 1947 existiert also in Norf die St.Andreas-Schützenbruderschaft, die der Erzbruderschaft vom heiligen Sebastianus mit Sitz an der Metropolitankirche in Köln angeschlossen ist. Fortan wird sie von einem Brudermeister geleitet, dem ein Vorstand beigegeben ist. Der geistliche Präses, geborenes Mitglied der Bruderschaft, ist der jeweilige Pfarrer an St. Andreas. Erster Brudermeister wird 1947 Jakob Giesen.

Peter Buschhüter, Urban Büttgen, Willi Derichs und andere Mitglieder bilden den Vorstand. Mit dieser neuen Schützenformation wird auch 1947 in Uniformen Schützenfest gefeiert. In der Folge sind die Schützen aber nicht nur Festgestalter, sondern mit ihren verschiedenen Abteilungen wichtige Integrationskörper für die mehr und mehr nach Norf kommenden Neubürger.

Immer mehr Züge schließen sich den einzelnen Korps an. In den 50er Jahren kommt das Reiterkorps neu dazu. Auch die Edelknaben sind wieder dabei. Scheibenschützen, Hubertusschützen und die Artillerie sorgen für ein immer wechselvolleres Bild an den Schützenfesttagen. Das Gesamtregiment wird bis zum Jahre 1950 von Alex Krieger geführt. Sein Nachfolger wird der langjährige Adjutant Wilhelm Pasch. Er bleibt bis zum Jahre 1956. Dann folgt Richard Meurer bis 1964. Drei Jahre lang ist dann Wilhelm Holthausen Regimentschef. Und von 1967 bis heute (1974) leitet Herbert 0. Homann die Regimentsformation aus Pionieren, Grenadieren, Jägern, Edelknaben, Scheibenschützen, Hubertusschützen, Artillerie und Reitern. Als Brudermeister fungieren nach 1947: Jakob Giesen (1947- 1951), Mathias Giesen (1951-1957), Willi Rapior (1957-1959) und Willi Stoffels (1959 bis heute). (D.i. 1974! Die Redaktion)

Und so präsentiert sich die St.-Andreas-Bruderschaft mit ihrer Vorstands- und Regimentsspitze im Jahre 1974: Präses ist Pfarrer Helmut Ludwig, Erster Brudermeister Willi Stoffels, Zweiter Peter Lützenkirchen. Das Amt des ersten Schriftführers hat Kurt Schubert inne, als sein Vertreter fungiert Willi Schumacher. Für die Kassengeschäfte zeichnen Heinrich Erpenbach und Hans Becker verantwortlich.

Das stolze Norfer Regiment wird angeführt von Oberst H. 0. Homann und Adjutant Bernhard Offer. Pioniermajor ist Anton Steinfort, Adjutant Richard Wendling. Die Grenadiere marschieren unter Major Josef Schmitz und Adjutant Wilhelm Josef Buschhüter. Jägermajor ist Peter Winkels, sein Adjutant Helmut Giesen. Dem kleinsten Korps der Edelknaben, geführt von Max Platzek, folgen die Scheibenschützen unter Major Rudolf Pliersbach und Adjutant Paul Wrana. Weiter die Hubertusschützen unter Major Paul Wiedenhöfer und Adjutant Rudi Leiser, die Artillerie mit Chef Lothar Schmidt und Adjutant Alex Busch. Und last but not least die Reiter mit Chef Friedhelm Leusch an der Spitze.

Es gibt viele Norfer Feste im Lauf der Jahre, die eigenes Flair versprühen, manche Begebenheiten, die in Zügen und Korps Schmunzeln oder Stirnrunzeln hervorzaubern. An dieser Stelle können sie nicht aneinandergereiht werden. Eins aber steht fest. Das königliche Spiel mit Zepter und Krone, das von manchen schützengeimpften Aktiven oft allzu ernst genommen wird, sollte immer nur Spiel bleiben. Fröhliches Mitmachen in einer Gemeinschaft, die Jahr für Jahr mit Umzügen, Paraden und musikerfülltem bunten Treiben sich und anderen Freude bereitet. So, und nur so, kann die feierliche Krönung am jeweils letzten Schützentag zum immer wieder begeistert mitgefeierten Finale werden, auf das Norfer Schützen sich das ganze Jahr über freuen. Die Regenten auf dem Norfer Königsthron werden sich der Zuneigung ihrer "Untertanen"" gewiss sein. So wird das Geschehen um Schützen, Fahnen und Majestäten Bestand und Dauer finden, auch über die kommunale Neugliederung hinweg.

Aus: Nor apa- Norpe- Norf. Ein Dorf wächst in Jahrtausenden. Norf 1974.
 

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